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Herrliberg: Gemeinschaft erleben – 11 Konfirmanden zu Gast in einer ökumenischen Bruderschaft im Burgund
Junge Menschen aus Herrliberg haben zum Abschluss ihrer Sommerferien Ungewöhnliches erlebt: Für einige Tage teilten sie mit Tausenden Jugendlichen aus aller Welt das Leben der Brüder von Taizé. Fremdes wurde zu Vertrautem, viele Fragen wurden gestellt – und einige beantwortet.
Die Konfirmanden sitzen im Klostergarten zum Nachmittagstee. Die Schokoladenbiscuits, die Frère Bruno ihnen bringt, nehmen sie gern, und auch den "Spülmitteltee", wie sie Mitte Woche noch sagten. Jetzt, nach drei Tagen leben in Taizé, schätzen sie den Tee, wenn auch nicht alle die abgegriffenen roten Plastikschüsselchen mögen, aus denen sie ihn trinken. Doch gerade sie gehören zum Bild von Taizé wie die weissen Gewänder der Brüder in der Kirche: Die roten Schüsselchen sind überall, bei jedem Essen, drei Mal am Tag, für bis zu 4000 Menschen.

Singen und Schlange stehen
Taizé, das ist kommen und sehen, staunen, mitmachen, dabeisein, wieder gehen – und ein Stück mitnehmen von dem, was man erlebt hat. In der ökumenischen Bruderschaft im Burgund verbringen elf der diesjährigen Herrliberger Konfirmandinnen und Konfirmanden die letzten Tage ihrer Sommerferien. Es sind ausgefüllte Tage: Morgens um 8.30 Uhr das erste gemeinschaftliche Gebet in der riesigen Kirche. "Es war eindrücklich, einem Chor mit mehr als 3500 Stimmen anzugehören", wird einer der Konfirmanden auf dem Heimweg in seiner Auswertung schreiben. Nach dem Morgengebet folgt Schlangestehen für das Frühstück – die 3500 Singenden wollen jetzt auch essen. Um 10.15 Uhr ein Input mit einem der Brüder, darauf Diskussionen in kleinen, internationalen Gruppen. Vor allem mit Schweden. Von ihnen sind die Herrliberger begeistert. "Die netten Schweden", steht in einer Auswertung als Antwort auf die Frage: "Was hat euch in Taizé besonders gefallen?" Nach dem Mittagsgebet um 12.30 Uhr und anschliessendem Mittagessen folgen am Nachmittag Workshops, wieder mit den Schweden. Oder aber, wie an diesem Tag im Klostergarten, eine "interne" Runde: Frère Bruno, der Schweizer aus Greifensee, der seit sechs Jahren in der Communauté von Taizé lebt, hat zum Gespräch geladen. Hier im Garten, auf seinem Klappstuhl, im Hemd und hellen Hosen, sieht er nicht aus wie ein Mönch. "Wie gefällt es euch hier?", will er wissen. "Alle Leute sind zufrieden", sagt einer der Jungen, "es scheint, als gebe es hier keinen Grund, traurig zu sein." – "Alles ist langsam, gelassen, man hat immer Zeit. Im Gebet käme niemand auf die Idee, auf die Uhr zu schauen", sagt ein Mädchen. "Es gibt nicht viele, die aggressiv sind. Schön, dass alle so gut auskommen", findet ein anderes.

Nach dem Wesentlichen suchen

Dann sind die Herrliberger an der Reihe, Fragen zu stellen. Was ihn, Bruno, am Leben in Taizé am meisten fasziniert? Er überlegt lange. Und sagt dann, ohne zu zögern, so als hätte er es innerlich gewusst und nur auf die richtigen Worte gewartet: "Mit so vielen Menschen aus verschiedenen Kulturen gemeinsam nach dem Wesentlichen zu suchen. Und zu sehen, dass viel mehr uns verbindet als trennt: das Verlangen danach, etwas zu finden, das hält und Sinn macht."
Wie leben die rund hundert Frères täglich miteinander? "Es ist wie eine grosse WG", sagt Bruno. Jeder treffe für sich die Entscheidung, hier im Kloster zu leben, "auch wenn man nicht weiss was morgen passiert, wer noch alles in die Gemeinschaft kommt." Wie in einem normalen Haushalt begegne man einander in der Küche, "es geht zu wie in einem Ameisenhaufen, das ist schön." Und die vielen Jugendlichen, die jedes Jahr anreisen und ihre Zelte aufstellen, stören sie die Frères oder die Stille im Gebet nicht? "Nein", sagt Bruno, "die Tatsache, dass so viele Jugendliche da sind, stützt das Gebet extrem."

Fremd, fröhlich, anders
Zum dritten Mal hat der Herrliberger Pfarrer Andreas Schneiter das "Experiment", wie er es selber nennt, gewagt: die Jugendlichen in eine fremde Welt einzuführen. Zum dritten Mal haben ihn Leiterinnen der Cevi Herrliberg Erlenbach dabei unterstützt. Und zum dritten Mal sind die Tage in Taizé nicht spurlos an den jungen Menschen vorbei gegangen. Wenn sie vielleicht auch froh waren, die roten Plastikschüsselchen wieder gegen das vertraute Geschirr eintauschen zu können, bleibt doch der Eindruck, eine "andere Welt" erlebt zu haben. Ein Satz in dem Auswertungsfragebogen lautet: "Alle Menschen scheinen fröhlich zu sein, dass sie in Taizé sind." Es muss eine gute, vielleicht sogar eine bessere Welt gewesen sein.

Anna Moser, 21. August 2004