Ökumenisches Winterprogramm 2004

 

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Menschenwürde und Spitzenmedizin

Organtransplantation als Thema der Erwachsenenbildung - Vortragsabend vom 14.1.2004

Für die Vortragsreihe im Rahmen des ökumenischen Winterprogramms haben die beiden Herrliberger Kirchgemeinden wiederum ein aktuelles Thema gewählt: Christliche Ethik und Medizin. Die grosse Zahl von Teilnehmenden an der ersten Veranstaltung belegte das breite Interesse für Fragen, die dem Einzelen plötzlich nahe gehen können und zugleich unsere Gesellschaft in grundsätzlichen Belangen herausfordern.

Alexander Wunderli, Pfarrer und Seelsorger am Universitätsspital Zürich, und Tatjana Weidmann, Biochemikerin und Medizinethikerin, sprachen unter dem Titel "Menschenwürde und Spitzenmedizin" vor allem über grundlegende und praktische Aspekte der Organtransplantation. Pfarrer Philipp Specken leitete die gesprächsartig gestalteten Referate und die angeregte Diskussion.

Seine Arbeit im Spital bringt Alexander Wunderli vielfältige Begegnungen mit Transplantationspatienten und zugleich breite Kenntnisse der heutigen, hoch entwickelten medizinischen Möglichkeiten. Er berichtete über beides in einer sehr sachlichen, respektvollen Weise. Diesen Ausführungen stellte T. Weidmann die philosophischen Grundlagen des Begriffs der Menschenwürde gegenüber, wie auch die gegenwärtig in der Schweiz geltenden Richtlinien und gesetzgeberischen Bemühungen. Die hier angesprochene Würde kommt laut dem Philosophen Kant allen Menschen gleichermassen zu, allein durch das Menschsein.

Ein Transplantationsgesetz fehlt bislang in der Schweiz; ein Entwurf wird zur Zeit beraten. Bis das Gesetz in Kraft tritt gelten Richtlinien, die grösstenteils von der Schweizerischen Akademie der medizinischen Wissenschaften erarbeitet wurden. So existieren etwa Regeln für die Aufnahme eines Kranken in die Warteliste der Organempfänger, für den Ablauf aller Abklärungen und das Festlegen von Prioritäten bis zur ausgeführten Transplantation, für die Feststellung des Todes, insbesondere im Hinblick auf eine Organspende. Hier spielt der Hirntod, der erst seit 1960 als Todeszeichen definiert ist, eine bedeutende Rolle. Er muss im aktuellen Fall von zwei unabhängigen Neurologen festgestellt werden.

Wer sich näher mit der Frage des Organspendens befasst, stösst auf vielschichtige Fragen: Besteht eine moralische Pflicht zur Organspende? Darf ich allein über die Organe meines Körpers bestimmen oder ist dies auch Sache der Angehörigen? Was geschieht, wenn nach einer Lebendspende beim Spender Komplikationen eintreten? Gibt es eine Altersgrenze für die Organspende? Sind die Kosten der Transplantationsmedizin für die Gesellschaft tragbar?

Schwierige Entscheide müssen die Fachleute im Transplantationswesen immer wieder fällen, dies vor allem im Zusammenhang mit dem generellen Mangel an Organspendern und dadurch dem Mangel an transplantierbaren Organen. Wohl gibt es anerkannte Kriterien für die Aufnahme von Patienten in die Warteliste. So können etwa Patienten, die neben ihrer Organkrankheit von einer Sucht betroffen sind, nicht in die Liste aufgenommen werden. Oder es kann nur Organempfänger werden, wer willens und im Stande ist, nach der Transplantation dauernd die lebenserhaltenden Medikamente einzunehmen. Ob aber eine bestimmte Transplantation ausgeführt wird, muss fallweise nach Dringlichkeit und Erfolgschancen entschieden werden.

Nur am Rande wurde die religiöse oder philosophische Frage besprochen, ob die Transplantation von Organen grundsätzlich die inhärente Würde, die Einmaligkeit des menschlichen Individuums verletzt. Das sonst lebhaft mitdiskutierende Publikum schien diesem Punkt weniger Bedeutung als den mehr praktischen Belangen zuzumessen, oder es mochte ihn nicht zur Sprache bringen. Für Pfarrer Alexander Wunderli ist die Transplantation menschlicher Organe durchaus vereinbar mit der christlichen Weltanschauung, die das Leben und alles, was das Leben erhält, stets an erste Stelle setzt.

Ueli Moser, Kirchenpfleger