Wenn
Gemeinschaft stark macht
Die
letzte Woche der Sommerferien wurde für 18 Jugendliche aus
Herrliberg zu einem besonderen Erlebnis. Sie reisten trotz der
Nachricht vom
Tod von Frère Roger in die ökumenische Bruderschaft
im Burgund und erlebten wie stark Verständnis und Gemeinschaft
sein können.
Zum vierten Mal fuhr der Herrliberger Pfarrer Andreas Schneiter
mit den Konfirmandinnen und Konfirmanden am Mittwoch der letzten
Sommerferienwoche
ins Burgund, in die ökumenische Gemeinschaft in Taizé. Diesmal
reisten die Jugendlichen nicht nur mit den guten Ratschlägen der letztjährigen
Konfirmanden und Taizé-Besuchern los – «Das Essen ist
fürchterlich», «Ihr müsst aus dreckigen Plastikschüsselchen
trinken», «Das Wasser schmeckt nach Chlor» – sondern
auch mit der erschütternden Nachricht: «Frère Roger,
der Gründer von Taizé, wurde dort am Abend zuvor getötet».
Keiner der 18 Konfirmanden liess sich davon abhalten, auch unter diesen
Bedingungen einen Ort zu besuchen, wo Gemeinschaft und Verständigung über
nationale, kulturelle und konfessionelle Grenzen hinweg gelebt werden.
Zusammen werden wir es schaffen
In Taizé angekommen erweist sich der Entscheid, das Lager durchzuführen
als richtig. Stellvertretend für die Bruderschaft und die 2500 Jugendlichen,
die sich bereits in Taizé befinden, heisst eine junge Britin die
Herrlibergerinnen und Herrliberger willkommen. Zur Begrüssung gibt’s
Tee, aus erstaunlich sauberen Plastikschüsselchen, und die ermutigenden
Worte «Schön, dass ihr da seid. Zusammen werden wir diese schwierige
Situation meistern.» Diese Offenheit und Toleranz anderen gegenüber
erleben die Konfirmanden auch während des ausgefüllten Tagesprogramms.
Bereits vor dem gemeinsamen Morgengebet in der Kirche um 8.30 Uhr kommen
andere Jugendliche auf sie zu und fragten: «Wie geht es euch? Wo
kommt ihr her?» In den kleinen, internationalen Gruppen, in welchen
die Jugendlichen vormittags einen biblischen Input eines Bruders diskutieren,
kommen die Herrliberger Jugendlichen mit andern ins Gespräch, erfahren
deren Glaubens-einstellungen und stellen Fragen. Nicht immer fällt
die Verständigung auf Englisch leicht, und vieles scheint neu und
fremd. Eine der Konfirmandinnen bemerkt, wie beeindruckt sie ist, von den «verschiedenen
Kulturen, die alle einander respektieren». Auch im zweiten Gebet
des Tages am Mittag steht diese Multikulturalität im Zentrum. Die
Gebete und Lesungen der Brüder werden in vielen verschiedenen Sprachen
gehalten, und die Kirche erfüllt sich mit dem Klang der Stimmen von
Menschen aus aller Welt, welche Lieder in Sprachen singen, die viele gar
nicht verstehen. Danach wagen sich einige Konfirmanden an das Mittagessen
heran, das von Freiwilligen für alle Besucher gekocht und ausgegeben
wird, während andere am Kiosk eine Alternative finden. Nachmittags
finden wieder Workshops statt, oder man hilft, Taizé auf den Ansturm
von Besuchern vorzubereiten, die anlässlich von Frère Rogers
Beerdigung anreisen werden.
Die Stille geniessen
Nach dem Nachtessen treffen sich die Konfirmanden mit ihren Leitern,
Pfarrer Andreas Schneiter, der Kirchenpflegerin Christine Bütikofer und vier
Leiterinnen und Leitern der Cevi Herrliberg Erlenbach bei ihrer kleinen
Zeltstadt und machen sich mit Singbüchern und Sitzbänkchen auf
den Weg zum Abendgebet. Unter den vielen Liedern, die gesungen werden,
befindet sich auch Frère Rogers Lieblingslied «Jésus
le Christ, lumière intérieure». Diese Kirche, die am
Tag zuvor der Ort eines Verbrechens war, wird nun zu einem Ort der Trauer,
der Gemeinschaft und des Trostes - im Gesang und in der Stille. Etwa zehn
Minuten Stille in der Kirche ist eine Herausforderung für die Herrliberger
Jugendlichen. Gegen Ende der drei Tage in Taizé sehen die Konfirmanden
diese Stille als Erlebnis. Während die einen die Menschen um sich
herum beobachten und sich deren Lebensgeschichte ausmalen, schliessen andere
die Augen, achten auf ihre Atmung und konzentrieren sich auf sich selbst.
In ihrer Auswertung schreibt eine Konfirmandin: «Es ist ein tolles
Gefühl, über sich selbst nachzudenken und nur bei sich zu sein.» «Wenn
man die Augen wieder öffnet, kommt man sich verändert vor, wie
in einer anderen Welt» schreibt eine andere. Ein Junge schreibt: «In
der Stille fühlte ich mich frei.»
Das innere Licht wird weiterleuchten
Diese Stille wirkt auch tröstlich auf die rund hundert Frères
der Bruderschaft in Taizé. Einen Einblick in das Leben eines solchen
Mönches erhalten die Herrliberger während des Gesprächs
mit dem Schweizer Frère Bruno, der seit sieben Jahren in der Gemeinschaft
in Taizé lebt. Bruno entspricht so gar nicht den Erwartungen, welche
die Jugendlichen an einen Mönch haben, wie er in Hemd und Hosen auf
einem der vielen Bänkli vor dem Kloster sitzt. Die Frage eines Mädchens,
ob er auch schon in einem McDonalds war, hängt einen Augenblick in
der Luft, wird dann von der Fragestellerin selbst belächelt und durch
eine andere Frage ersetzt. «Fällt es Ihnen schwer, auf Dinge
wie Besitz, Erfolg und Sexualleben zu verzichten?» wollen die Jugendlichen
von Frère Bruno wissen. «Jede Wahl bedeutet gleichzeitig auch
einen Verzicht. Natürlich denkt man manchmal über die Dinge nach,
die man nicht haben kann, aber ich konzentriere mich darauf, was mir meine
Entscheidung gegeben hat: hier in der Gemeinschaft leben zu können.
Für mich ist Taizé ein Ort, wo man hingehen und etwas finden
kann, was einem Halt gibt und einem begleitet.» Wird sich nicht vieles ändern,
nach Frère Rogers Tod? «Nein» sagt Bruno, «das,
wofür Frère Roger gelebt hat, geht nicht einfach verloren.
Durch die weltweite Anteilnahme und die Jugendlichen hier in Taizé wird
es in Frère Rogers Sinne weitergehen.» Dazu können auch
die 18 Konfirmandinnen und Konfirmanden aus Herrliberg beitragen. Nach
ihren Erlebnissen in Taizé beschreiben viele das Konfirmationslager
als «gute Erfahrung». Sie haben mehr zu erzählen auf die
Frage «Was glaubst du eigentlich?» Vielleicht brennt in einigen
von ihnen das «lumière intérieure» aus Frère
Rogers Lieblingslied, das innere Licht von Taizé, welches sie
in seinem Sinne begleiten wird.
Katrin Meier
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