Nach
Misserfolg zu neuer Zuversicht
Enttäuschung nach der langjährigen pfarramtlichen Arbeit und
Hoffnung angesichts einer vielleicht ungewohnten Schau der Grundlagen des
Glaubens: Das waren die beiden Pole des Vortrags von Hugo Gehring.
Marco
Anders, Gemeindeleiter in der katholischen Kirche Herrliberg, hiess
am zweiten Abend des ökumenischen Winterprogramms mit dem Winterthurer
Pfarrer Hugo Gehring einen Mann aus der volksnahen Praxis als Referenten
willkommen. Kontrastierend zum ersten Vortrag der Veranstaltungsreihe,
in welchem ein Religionswissenschaftler die Volkskirche gewissermassen
von aussen analysierte, erlebten die Zuhörenden dieses Mal eine
Art Innenansicht der Kirche.
Hugo Gehring trug seine vielfältigen Erfahrungen aus einer 25-jährigen
Tätigkeit als Religionslehrer, Jugendseelsorger, Vikar und Ortspfarrer
in einer ungeschminkten, vom direkten Kontakt mit dem Kirchenvolk geprägten
Sprache vor. In seiner Sicht war insbesondere seine hingebungsvolle und
begeisterte Tätigkeit als Religionslehrer nicht oder nur in Einzelfällen
von Erfolg gekrönt. Als Beispiele führte er junge Leute
an, die nach jahrelanger, engagierter Mitwirkung in der Arbeit
der Kirche von einem
Tag auf den andern sich vom kirchlichen Bereich abwendeten.
Als wesentlichen Grund für seinen Misserfolg in der Glaubensvermittlung
an die Jugend sieht Gehring die allgemeine Individualisierung der Menschen
in unserer heutigen Gesellschaft. Getan und gelebt werde vor allem das,
was dem Einzelnen nützt oder Spass macht. Der Rückgang des Gottesdienstbesuchs
hierzulande ist nach Gehring seit etwa Mitte der 1960er-Jahre von der Ausbreitung
des Wohlstands verursacht. Der Wohlstand in einer zuvor nie dagewesenen
Breite mache zudem anfälliger für alle Arten von Süchten
und für seelische Krankheiten – Phänomene, die sich in
einer von existentieller Anstrengung oder gar Not geprägten gesellschaftlichen
Situation viel weniger manifestieren würden. Die Volkskirchen würden
heute von vielen als Unternehmen gesehen, die den Mitgliedern Dienstleistungen
anzubieten hätten, und viel weniger als Gemeinschaften von Gläubigen,
meinte der Referent. Erfolgreich in Bezug auf die Zahl der Anhänger
sind etwa die Freikirchen, und zwar wegen ihres oft besonderen Stils und,
was zunächst überrascht, wegen der festen Bindung ihrer
Mitglieder.
Im zweiten Teil seines Erfahrungsberichts befasste sich Gehring
mit der Frage, wie der religiös interessierte Einzelne mit der aktuellen Situation
umgehen kann. Eine tragfähige Antwort lässt sich in den Anschauungen
des katholischen Theologen Karl Rahner finden. Rahner sieht den Menschen
als ein Geschöpf, das dauernd danach drängt, seine unbefriedigten
Bedürfnisse zu stillen, seine Suche nach absolut geltenden Erkenntnissen
voranzutreiben. Er gelangt nie in einen Zustand vollkommener, rundum abgeschlossener
Zufriedenheit, ausser vielleicht in einer Phase umfassender Liebe zu einem
Mitmenschen. Eine Rechtfertigung des Lebens des Menschen lässt sich
laut Rahner von uns nicht finden. Durch seine Existenz allein erhält
der Mensch jedoch einen absoluten Wert. Dementsprechend gewinnt der Glaube
die stärkste tragende Kraft, wenn er das Dasein selbst zum Inhalt
hat. Diese Sichtweise erleichtert, ja: ermöglicht erst, sich
im Sinne der Mitmenschlichkeit zu verhalten, so wie Jesus sie gelebt
hat.
Ausgehend vom Gleichnis des Sämanns machte Hugo Gehring klar, dass
wir wohl mit aller Aufrichtigkeit und Sorgfalt säen können, dass
aber das Aufgehen und Wachsen der Saat nicht unsere Sache ist. Wir können
hoffen, ja: wir können nicht leben ohne zu hoffen. Wie jedoch
das Leben vor sich gehen und ausgehen wird, bleibt ein Geheimnis.
Ueli
Moser, Kirchenpfleger
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